- Urteil

Beschluß des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 16.05.01 


(2 Bs 124/01)

 Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin hat durch Bescheid vom 1. Februar 2001 den Antrag des Antragstellers auf Erlaubnis zur weiteren Haltung eines gefährlichen Hundes, des Staffordshire Bullterriers ....., abgelehnt, weil eine viereinhalbjährige Verweildauer des Hundes in der Familie des Antragstellers ein berechtigtes Interesse an der Haltung nicht begründe.

Zugleich hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller die weitere Haltung des Hundes wegen der fehlenden Erlaubnis untersagt und dessen Sicherstellung nach § 14 SOG für den Fall angeordnet, daß der Nachweis über die Beendigung der Hundehaltung nicht binnen vier Wochen erbracht werde. Insoweit wurde die sofortige Vollziehung angeordnet.

Schließlich hat die Antragsgnerin in demselben Bescheid die Wegnahme im Wege der Ersatzvornahme angekündigt, die Einziehung des Hundes für den Fall der Überschreitung der vierwöchigen Frist angeordnet und auf die mögliche Anwendung weiterer Zwangsmittel hingewiesen.

Der Antragsteller hat mit einem am ...... 2001 bei der Antragsgegnerin eingegangenen Schreiben seines Bevollmächtigten umfassend Widerspruch eingelegt und beim Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz gegen die Haltungsuntersagung, die Sicherstellung und die Androhung der Wegnahme beantragt.

Durch Beschluß vom 6. März 2001 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Es hat das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung von Haltungsuntersagung und Sicherstellung bejaht und die Ankündigung der Wegnahme noch nicht als Regelung im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung angesehen, gegen die vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO in Betracht kommen könne und begehrt werde.

II.

Die durch Beschluß des Beschwerdegerichts vom 17. April 2001 zugelassene Beschwerde hat Erfolg. Gegenstand des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Haltungsuntersagung und die Sicherstellung des Hundes. Hinsichtlich der Wegnahme des Hundes ist der Antragsteller der -zutreffenden- Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht entgegengetreten, es handle sich lediglich um eine Absichtsbekundung und nicht um einen Verwaltungsakt.

Soweit die Antragsgegnerin dem Antragsteller die weitere Haltung des Hundes ..... untersagt hat, liegt die sofortige Vollziehung nicht im öffentlichen Interesse und liegen deshalb die Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht vor. Es bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung und es sind derzeit keine Gründe dafür ersichtlich, daß es trotz dieser Zweifel im öffentlichen Interesse liegen könnte, die Hundehaltung vor einer weiteren Klärung im Verfahren der Hauptsache zu beenden.

Die Antragsgegnerin stützt ihre Haltungsuntersagung auf § 7 Abs. 1 der Verordnung zum Schutz vor gefährlichen Hunden und über das Halten von Hunden (Hundeverordnung) vom 18. Juli 2000 (HGVBl S. 152) -HundeVO-. Danach untersagt die zuständige Behörde das Halten eines Hundes, wenn die nach § 2 HundeVO erforderliche Erlaubnis nicht vorliegt oder der Hundehalter gegen die Vorschriften des § 4 verstößt. Da für einen Verstoß gegen § 4 Anhaltspunkte hier nicht vorliegen, kommt allein die fehlende Erlaubnis als Untersagungsgrund in Betracht.

Ob bzw. unter welchen Voraussetzungen das Fehlen einer Erlaubnis nach § 2 HundeVO in Fällen der vorliegenden Art im Zeitpunkt der Untersagung diese Entscheidung nach § 7 HundeVO rechtfertigte, ist ungeachtet des dahingehenden Wortlauts der Vorschrift nicht eindeutig. Zwar gehört der Hund .... als Staffordshire Bullterrier zu den in § 1 Abs. 1 HundeVO aufgeführten Rassen und Gruppen von Hunden, für die § 2 HundeVO eine Erlaubnisbedürftigkeit begründet, jedoch muß andererseits - vorbehaltlich einer abschließenden Klärung des Sachverhalts - in Betracht gezogen werden, daß der Antragsteller zum Kreis derjenigen gehört, die im Sinne des § 11 Abs. 2 HundeVO diesen gefährlichen Hund zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der HundeVO bereits hielten und diese Haltung bei einer entsprechenden Anmeldung und Antragstellung auch ohne Erlaubnis zunächst fortsetzen durften.

Mit der Regelung des § 11 Abs. 2 HundeVO hat der Verordnungsgeber nicht nur eine aus abwicklungstechnischen Gründen erforderliche Übergangsregelung geschaffen, sondern zugleich den grundrechtlich geschützten Interessen der vorhandenen Hundehalter Rechnung getragen. Da es hierbei nicht nur um durch Art. 14 GG geschützte Eigentumsrechte, sondern auch um das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Interesse am Fortbestand der sozialen Beziehungen geht, die zwischen Menschen und den von ihnen dauerhaft in die häusliche Gemeinschaft aufgenommenen Haustieren entstehen können, kommt als Halter im Sinne von 11 Abs. 2 HundeVO nicht nur in Betracht, wer das Eigentumsrecht an einem Hund erworben hat oder sich vor In-Kraft-Treten der HundeVO als Halter bezeichnet hat. Innerhalb eines Familienverbandes kann die Auswahl dieser Person zufällig und ohne entscheidende Bedeutung für die wirkliche Betreuung des Hundes, die Verantwortung für ihn und die Beziehungen zu ihm gewesen sein. Im vorliegenden Fall muß insoweit eine abschließende Klärung dem Verfahren der Hauptsache vorbehalten bleiben. Bei dem für die konkrete Gefährlichkeit des Hundes herangezogenen Vorfall vom .......... 2000 war es der Antragsteller, der den Hund ausgeführt hatte, obwohl sich damals sein jüngerer Bruder als Halter bezeichnet hatte. Dieses und sein jetziges mit nicht unerheblichen Aufwand und Verpflichtungen verbundenes Interesse spricht neben der längeren Dauer der Zugehörigkeit des Hundes zur Familie für das Bestehen einer sozialen Beziehung. Die vom Antragsteller dargestellten Wohnverhältnisse, nach denen er allein wohnt und seine Eltern und sein - zur Zeit inhaftierter - jüngerer Bruder in einer anderen Wohnung im Nachbarhaus wohnen, sind zwar für ein familiäres Zusammenleben nicht typisch, schließen es aber auch nicht aus.

Ist danach für die hier zu treffende Entscheidung von der Anwendbarkeit von § 11 Abs. 2 HundeVO als möglich auszugehen, so stellt sich die in der HundeVO nicht ausdrücklich geregelte Frage, wann die Zulässigkeit einer weiteren Haltung ohne Erlaubnis endet und damit deren Fehlen die Untersagung nach § 7 Abs. 1 HundeVO nach sich zieht. Wenn man - wofür vieles spricht - diese Frage dahin beantwortet, daß die Untersagung nicht erst zulässig ist, sobald die Versagung der gemäß § 11 Abs. 2 HundeVO beantragten Erlaubnis bestandskräftig ist, daß vielmehr beide Entscheidungen - wie hier geschehen- miteinander verbunden werden können, hängt damit die Rechtmäßigkeit der Haltungsuntersagung davon ab, daß die Haltungserlaubnis zu Recht versagt worden ist. Daran bestehen hier erhebliche Zweifel.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts wird das berechtigte Interesse an der weiteren Haltung eines gefährlichen Hundes in der Regel und nicht nur in besonders gewichtigen Ausnahmefällen zu bejahen sein, wenn die Erlaubnis nach § 2 HundeVO beantragt wird, um eine vor Einführung der Erlaubnispflicht begonnene Hundehaltung fortsetzen zu können, sei es im Interesse einer Eigentumserhaltung oder der Fortsetzung einer zu dem Hund entstandenen sozialen Beziehung. Nach der Ansicht des Beschwerdegerichts ist ein solches Verständnis des unbestimmten Rechtsbegriffs des " berechtigten Interesses" nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck der Vorschrift möglich und als deren verfassungskonforme Auslegung geboten.

Die HundeVO enthält keine umfassende Übergangsreglung hinsichtlich der bei ihrem In-Kraft-Treten bereits bestehenden Haltungen von Hunden der Rassen und Gruppen, für die in der HundeVO die Gefährlichkeit widerlegbar oder stets vermutet und zum Anlaß für die Erlaubnisbedürftigkeit genommen worden ist. Sie beschränkt sich insoweit auf die Regelung einer Antragsfrist und die Anordnung eines sofortigen Leinen- und Maulkorbzwangs. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß es für die grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Hundehalter einen erheblichen Unterschied macht, ob die HundeVO ihnen mangels eines berechtigten Interesses verwehren will, einen gefährlichen Hund anzuschaffen oder einen solchen zu behalten. Eine Anschaffung nicht zu erlauben, greift nicht in durch Art. 14 GG geschützte Rechte ein und berührt das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG nur in geringen Ausmaß, weil nur eine geringe Zahl von Hunderassen betroffen und das Ausweichen auf Hunde anderer Rassen eine weiterhin große Auswahl ermöglicht. Wird dagegen die Beendigung einer Hundehaltung erzwungen, so führt dies für den Halter zu einer Eigentumsentziehung und/oder zum Abbruch einer individuellen sozialen Beziehung zu einem Tier, die den davon Betroffenen emotional erheblich treffen kann.

Es bedarf keiner weiteren Vertiefung, daß Gesetz- und Verordnungsgeber zur Gefahrenabwehr im Rahmen der Inhaltsbestimmung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG und als Teil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG auch Regelungen treffen dürfen, die zu den genannten Auswirkungen für die Betroffenen führen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet jedoch darauf zu achten, daß diese mit dem Eingriff in bestehende Verhältnisse verbundenen beeinträchtigenden Wirkungen einer Regelung nicht außer Verhältnis zur ihrer Bedeutung für die Gefahrenabwehr stehen. Diese Bedeutung ist umso größer, je konkreter die Regelungen der Gefahrenbekämpfung dienen, sie ist umso geringer, je mehr sie sich der abstrakten Gefahrenvorsorge nähern. Wenn der Verordnungsgeber in § 2 Abs. 1 HundeVO - auch - ein berechtigtes Interesse zur Voraussetzung einer Erlaubnis zur Haltung eines gefährlichen Hundes macht, so kommt darin aus zwei Gründen ein erheblicher Abstraktionsgrad der Gefahrenabwehr zum Ausdruck.

Zum einen kommt es auf die Frage nach einem berechtigten Interesse an der Haltung eines gefährlichen Hundes für die Erlaubniserteilung entscheidend nur an, wenn die jeweilige Antragstellerin oder der Antragsteller für ihren/seinen Hund und sich selbst alle übrigen Voraussetzungen von § 2 Absätze 1 und 2 HundeVO erfüllt , d.h. die persönliche Zuverlässigkeit nach § 3 HundeVO, die persönliche Sachkunde, die Erziehung des Hundes, dessen Kastration oder Sterilisation, fälschungssichere Kennzeichnung und die für ihn bestehende Haftpflichtversicherung. Sind diese Voraussetzungen, mit denen der Verordnungsgeber das von gefährlichen Hunden ausgehende Gefahrenpotential verringern und bei deren Erfüllung er die Haltung von gefährlichen Hunden selbst dann nicht ausschließt, wenn sie sich im Sinne von § 1 Abs. 3 HundeVO konkret als gefährlich erwiesen haben, nicht alle erfüllt, würde auch die Bejahung des berechtigten Interesse nicht zur einer Erlaubnis führen. Sind sie dagegen erfüllt, verbindet sich mit dem berechtigten Interesse nur noch die Frage, ob dieses es rechtfertigt, einen weiteren Fall einer zwar nicht risikolosen, aber durch die übrigen Erlaubnisvoraussetzungen und die Haltungsvorschriften des § 4 HundeVO in ihrem Risiko geminderten Hundehaltung zuzulassen. Dies ist erkennbar eine Frage der Risikominderung, also der Gefahrenvorsorge. Dagegen handelt es sich nicht darum, daß ein Zustand entstehen würde, den der Verordnungsgeber als solchen nicht für hinnehmbar hält.

Zum anderen kann bei der Beurteilung hinsichtlich der nach § 1 Abs. 1 und 2 HundeVO ohne individuelle Prüfung als gefährlich vermuteten Hunden nicht unberücksichtigt bleiben, daß bereits diese an die Rasse- oder Gruppenzugehörigkeit geknüpfte Vermutung einen erheblichen Abstraktionsgrad aufweist, solange man in Betracht ziehen muß, daß ein nicht unerheblicher, wenn auch schwer individuell zu konkretisierender Teil dieser Hunde nicht das Maß an Gefährlichkeit aufweist wie die Tiere, die durch ihre Beteiligung an Bißvorfällen die Vermutung der Gefährlichkeit ihrer Rasse oder Gruppe verursacht haben.

An die Rasse- oder Gruppenzugehörigkeit eine Vermutung der Gefährlichkeit zu knüpfen und dies zum Anlaß für haltungsbeschränkende Regelungen zu nehmen, war zwar nach der Rechtsprechung des Beschwerdegerichts mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, bei der Ausgestaltung der Haltungsbeschränkungen hatte der Verordnungsgeber jedoch die Grundrechte und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. den Beschluß v. 11.12.2000 -2 Bs 311/00-, NordÖR 2001, S. 122). Dem wäre nicht mehr Rechnung getragen, wenn nicht in der Regel der Wille, einen in dieser abstrahierenden Weise als gefährlich eingestuften Hund auch unter Beachtung der dafür neu eingeführten Vorschriften zur Eindämmung der Gefährlichkeit zu behalten, bei den Personen respektiert würde, die von ihren persönlichen Voraussetzungen eine hinreichende Gewähr für den von der HundeVO geforderten Umgang mit ihrem Hund bieten.

Da auf der Grundlage des hier zugrunde gelegten Sachverhalts kein Anlaß bestehen würde, das berechtigte Interesse ausnahmsweise zu verneinen, würde es für den Anspruch des Antragstellers auf die beantragte Erlaubnis darauf ankommen, ob die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind. Dies läßt sich nach dem Inhalt der Sachakte und dem Vorbringen der Beteiligten nicht abschließend beurteilen, erscheint aber möglich. Die Kastration soll mittlerweile durchgeführt und der Besuch der Hundeschule könnte abgeschlossen sein. Hinsichtlich der persönlichen Zuverlässigkeit des Antragstellers und seines Vaters, der nach Darstellung des Antragstellers den Hund zeitweise betreut, sind nach dem Maßstab des § 3 HundeVO Bedenken gegenwärtig nicht ersichtlich. Der Vorfall vom 18. April 2000 würde sie für sich allein nicht tragen. Einer weiteren Aufklärung und abschließenden Beurteilung bedarf es derzeit nicht. Sie kann dem weiteren Verfahren der Hauptsache vorbehalten bleiben.

Angesichts der danach gegebenen Aussichten für den Erfolg des eingelegten Rechtsbehelfs ist dessen aufschiebende Wirkung hier sowohl hinsichtlich der Haltungsuntersagung als auch der zu ihrer Umsetzung getroffenen Sicherstellungsanordnung wiederherzustellen, weil zur Zeit nichts dafür spricht, daß die zunächst auf der Grundlage des gestellten Erlaubnisantrags weitergeführte Hundehaltung schon beendet werden müßte, bevor das Verfahren der Hauptsache abgeschlossen ist. Sollte sich dies während des Verfahrens ändern, ist es der Antragsgegnerin unbenommen, einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO zu stellen. 

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