Es gibt keine "gefährlichen Hunderassen"

Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen

ETHOLOGIN

Fachtierärztin für Verhaltenskunde

Zusatzbezeichnung Tierschutzkunde

Institut für Haustierkunde                                       

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Biologiezentrum

Olshausenstr. 40

24118 Kiel

 (0431) 880 - 1

Durchwahl: 880 – 4506 / -4527 /-4530 / -5139

FAX: (0431) 880 – 1389

E-Mail: dfeddersen@ifh.uni-kiel.de                       

 

Der Präsident

des Niedersächsischen Landtages

- Landtagsverwaltung

II/713 - 0103 – 01/7

Anhörung – NhundG

Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 1 

30 159 Hannover

 

Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes über die Vorsorge vor von Hunden ausgehenden Gefahren (NhundeG)

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD – Drs. 14/3715

Hier: Anhörung in öffentlicher Sitzung durch den Ausschuß für Ernährung Landwirtschaft und Forsten am 30.10.02              

                                       Kiel, den 26.10.02

 

Sehr geehrter Herr Präsident,

für die Möglichkeit der Anhörung meiner Stellungnahme zum o.a. Gesetzentwurf, danke ich sehr. Da es im Grundlegenden um mehrfach von mir gründlich erläuterte Belange geht, halte ich mein Erscheinen (entgegen meiner Ankündigung) für nicht so zwingend, zumal ich im Semester terminlich stark belastet bin.

Nachfolgend sende ich Ihnen meine Stellungnahme zum o.a. Gesetz, mit der Bitte, diese den Ausschußmitgliedern verfügbar zu machen.

 

Mit freundlichen Grüßen verbleibe ich

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Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen


Hier auch als O-Word Dokument

Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen

ETHOLOGIN

Fachtierärztin für Verhaltenskunde

Zusatzbezeichnung Tierschutzkunde

Institut für Haustierkunde                                       

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Bi­o­lo­gie­zen­trum

Ols­hau­senstr. 40

24118 Kiel

%  (0431) 880 - 1

Durch­wahl: 880 – 4506 / -4527 /-4530 / -5139

FAX: (0431) 880 – 1389

 

Schriftliche Stellungnahme zum NhundeG vom 18.09.02

(Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes über die Vorsorge vor von Hunden ausgehenden Gefahren)

 

Meine Bemerkungen erfolgen chronologisch:

Zum Zweck des Gesetzes, der im § 1 erläutert wird, sei angemerkt, daß die Gefahren, denen es entgegenzuwirken gilt, mit dem Halten, Führen und Beaufsichtigen von Hunden verbunden sein können. Ihr Auftreten ist doch nicht obligatorisch.

Warum bleiben die Vorschriften des Jagdrechts unberührt? Ich denke, es ist an der Zeit, auch in den Bereich des Jagdhundewesens verhaltens- wie tierschutzgerechte Methoden des Umgangs, der Haltung und der Ausbildung von Hunden einzubringen. Die generelle Ausnahme von Jagdgebrauchshunden aus tierschutzrelevanten oder dem Menschenschutz dienenden Verordnungen wird für weder gerechtfertigt noch für angemessen gehalten. Sicher hätte die angesprochene Gruppierung auch keinerlei Probleme, gängige oder häufige Haltungs- bzw. Ausbildungsformen darzustellen und gefährdende wie gefährliche Vorkommnisse mit ihren Hunden zu diskutieren. Unfälle mit Jagdgebrauchshunden kommen vor, wie allgemein bekannt. Somit bleibt die pauschale Herausnahme wenig einleuchtend.

Die Leinenpflicht in den innerörtlichen Bereichen und Gebäuden ist einleuchtend und zumutbar für den Hund wie im Grunde selbstverständlich für dessen Halter. Da sich etliche Hundehalter nicht an diese Selbstverständlickeit halten, ist die Listung zu begrüßen.

Durch die zwingende behördliche Erlaubniserteilung, die der Haltung eines Hundes der Rasse American Staffordshire Terrier, Staffordshire Bullterrier oder Bullterrier, eines Hundes des Typus Pit Bull Terrier oder einer Kreuzung mit einem Hund einer dieser Rassen oder dieses Typus nach § 3 bedarf, gelten die restriktiven Maßnahmen den ehemaligen “Kategorie I – Hunden”, wird wiederum die Stigmatisierung dieser Rassen bzw. von Hunden ihres “Typus” bzw. von Kreuzungen anderer Hunde mit einem Hund der aufgeführten Rassen bzw. eines Typus gefordert. Diese Kategorisierung entbehrt wiederum der rechtfertigenden Grundlagen, folgt wiederum keinen seriösen, nachvollziehbaren Kriterien, abstrakte Tatbestandsmerkmale, an denen die Gefährlichkeit des Tieres der inkriminierten Rasse festgemacht wird, bleiben ungenannt.

Mögliche Gründe für die geforderten Restriktionen wären:

ethologisch – für den vielursächlichen Bereich des Aggressionsverhaltens, der in seiner individuellen Ausformung insbesondere Sozialisations-möglichkeiten an Artgenossen und Menschen impliziert, sind keinerlei Sondereigenschaften, die als “Gefährlichkeit” zu interpretieren sind, nachweisbar;

tierzüchterisch – diesbezügliche Rassedispositionen entziehen sich bislang einem genetischen Nachweis;

molekulargenetisch – Korrelationen zwischen genetischen Markern und Verhaltensbesonderheiten sind (noch) nicht nachweisbar  (Randi et al. 2000; Thalmann, Eckert, Feddersen-Petersen, Hartl 2001; Vila et al. 1997, u.a.).

Das phänotypische Erscheinungsbild von Hunderassen ist als Ergebnis einer auf Extérieur-Unterschiede konzentrierten Zucht zu werten, eindeutige Verhaltenseigenschaften sind im Bereich der Gebrauchshundezucht, ansonsten mehr zufällig und bruchstückhaft zu finden – und nicht auf einen ausgedehn-ten Bereich des Sozialverhaltens (Aggressionsverhalten) zu extrapolieren.

Zudem besteht bei vorliegender Listung wieder das Dilemma, daß Rassen und gewiß auch nicht “Typen” eindeutig phänotypisch und gar nicht molekular-genetisch abzugrenzen sind. Das gilt verstärkt für die aufgeführten Kreuzungen. In den letzten Jahren habe ich ein Bildarchiv von Kreuzungen, deren Entstehung verbürgt ist, aufgebaut. Bei Vorträgen und Seminaren wurde stets erfolglos versucht, diese Kreuzungen zuzuordnen. Tiere, die “Pit und Bull” – Merkmale zu haben scheinen, müssen mitnichten von “Pit und Bull Rassen” abstammen, ihre Eltern können Dackel und Leonberger heißen! Zunächst einmal ist die Vererbung polygen, entsteht bei der Kreuzung von Rassen (denen Herre (in Herre & Röhrs 1900) einen Unterartenstatus verwehrte, vielmehr auf Trivialnamen verwies, da sie in sich so außerordentlich variabel sind!) eine enorme interindividuelle Variabilität und können, bedingt etwa durch Konvergenzen (gleiche Merkmale treten mehrfach neu auf, ganz unabhängig von verwandtschaftlichen Gemeinsamkeiten) schlicht merkmalsbedingt nicht sinnvoll zugeordnet werden.

So gibt es jetzt an Stelle einer Verordnung ein Gesetz, welches völlig sinnlose (da unmöglich durchzuführende) Anordnungen enthält, Verwirrung und Belastung von Hundehaltern wie Behörden sind programmiert.

Die Urteile in Schleswig-Holstein und Berlin sind inhaltlich leider gar nicht reflektiert worden.

Diesbezügliche Untersuchungen verweisen immer noch darauf, eine von Hunden ausgehende Gefahr rasseneutral zu begründen. Zu dieser Definition der möglichen Gefährlichkeit individueller Hunde gehören Daten zur Zucht, Aufzucht, Ausbildung, Haltung, mithin stets Daten der den Hund begleitenden Menschen, die dessen soziales Umfeld ausmachten bzw. derzeit ausmachen.

Auch statistisch gibt es keinerlei Begründung der geforderten Ungleich-

behandlung von Individuen bestimmter Rassezugehörigkeit (s.o.) und ihrer Halter.

Vielmehr wird stets darauf verwiesen, daß sich das Gros der Unfälle durch Hunde zuhause oder bei Freunden ereigne) und daß die verschiedensten Rassen involviert sind (s.dazu Hornisberger 2002).

Eine Biostatistik, die unangreifbar ist, existiert nicht. Mängel sind in der subjektiven (und in aller Regel fehlerhaften) Zuordnung von Rassen oder gar ihrer Kreuzungen zu sehen, in den absoluten Zahlen (beliebte Rassen sind in ihrer Individuenzahl überrepräsentiert). Objektive, validierbare Statistiken, die die vorgenommene Haltungserlaubnis für die dargelegten Rassen und Kreuzungen rechtfertigen würden, fehlen.

Hingegen sei angemerkt, daß die in Kiel an vergleichbaren Plätzen, Wegen, mit identischen Personen und Gegenständen vorgenommenen Wesenstests (Niedersächsischer Wesenstests den stigmatisierten Rassen die besten Bewertungen bescheinigten (s. Abb. 1 – 3). Die knapp 400 getesteten Individuen erlauben Aussagen, die über Trends hinausgehen. Da wir momentan noch damit beschäftigt sind, die Auswirkung möglicher Variablen zu testen (Halterwechsel, Trainng etc.), steht die Publikation der Ergebnisse noch aus. Eindrucksvoll ist jedoch, daß von 214 Hunden der Kat. I 30 Staffordshire Bullterrier exzellent (fast 60%), sehr gut (über 20 %) bzw. gut (fast 10 % ) abschnitten, ähnliche gute Ergebnisse für den Bullterrier erzielt wurden, während Am. Staffordshire Terrier u.a. Rassen / Typen mit leichtem Abfall ebenso positiv auffielen. Bei den Kreuzungen gibt es eine etwas breitere Streuung, die mit schlechteren Bedingungen in der Jugendentwicklung bzw. momentanen oder vergangenen Haltungsdefiziten zu korrelieren ist.

Der Vergleich der Testergebnisse (Kategorie I / Kategorie II) weist den Kategorie I – Hunden einen dreifachen Anteil “exzellenter” Hunde zu.

Diese Ergebnisse sprechen eine eindeutige Sprache gegen die Wahl der erlaubnisbehafteten Rassen.

Solche Listen sind abzulehnen, da sie der wissenschaftlichen Untermauerung entbehren, sie führen zur Rechtsunsicherheit bei den Haltern von ca. 5,5 Mill. Hunden. Die im Gesetzentwurf festgelegte massive Einschränkung der Grundrechte von Hundehaltern kann im Kontext der Rassenfestlegung sehr leicht zur Krmiminalisierung völlig unbescholtener Bürger führen. Dieses ist bereits der Fall.

Zuverlässigkeit und Sachkunde sollten bezüglich der Haltung eines jeden Hundes geprüft werden (§ 4 (1) 1., 2., 3.). Ein Sachkundenachweis kann angefordert werden, wenn Gründe vorliegen.

Wesenstest: Die obligatorische Durchführung von Wesenstests für die aufgeführten Rassen ist nicht gerechtfertigt – so wenig ihre Listung plausibel und nachvollziehbar erscheint. Der Wesenstest nach § 3 Abs. 1 Nr.3 ist in seiner Aussagekraft nicht überzubewerten. Die Probleme sind im Vergleich der testenden Personen, ihres Sachverstandes und der resultie-renden Beobachtungen wie ihrer Deutung zu sehen. Kann aus den Bewertungen eines Teams eine recht objektive Beurteilung des Verhaltens von Hund und Halter an einem oder an mehreren Tagen erzielt werden ( stets nur ein Wirklichkeitsausschnitt), so hat die Vergangenheit gelehrt, daß 2 oder gar 3 Personen, die nach dem Niedersächs. Test vorgingen, zu diametral unter-schiedlichen Ergebnissen kamen. Dagegen stehen vergleichbare / identische Ergebnisse bei Zweit- oder Drittestung durch denselben Prüfer.

Nach meiner Auffassung ist der angesprochene Test im Vergleich der Ländertests am besten geeignet, einen möglichst objektiven Eindruck vom derzeitigen Sozialverhalten eines Hundes, seinem sozialen Umwelt, seinem Sozialpartner, seiner Ausbildung u.a. zu erhalten. Die Ergebnisse seien jedoch nicht überbewertet. Ich würde diesen Test allein dann einsetzen, wenn Hunde / ihre Halter / ihre Haltungsumstände Verdachtsmomente bezügl. einer vorliegenden Gefährlichkeit aufweisen.

§7 (1) 3.: “....über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust oder Schärfe ...” ist unter Benutzung der einschlägigen wissenschaftlichen Terminologie zu präzisieren. So bleibt eine Worthülse.

“Sozialverträgliches Verhalten” sollte Auslesekriterium bei der Zuchtwahl werden. Daß dieses bis dato keineswegs der Fall ist, dürfte kein Novum sein, wird jedoch traditionsbehaftet geduldet.

Wichtig ist (nach wie vor):

Þ      Kennzeichnungspflicht für alle Hunde.

Þ      Haftpflichtversicherungspflicht für alle Hunde.

Þ      Anleinpflicht im Stadtzentrum, in Wohngebieten und Parks (bei Angebot ausreichender Hunde-Parks und Freilaufflächen).

Þ      Zuchtlizenz für Hundezüchter

Þ      Festsetzung der Zuchtauslesekriterien bei Rassehunden über ein sachverständiges Gremium.

Þ      Es fehlen weiterhin Kriterien, nach denen die mit erheblichen Einschränkungen ihres Lebens versehenen Rassen benannt wurden. Somit sind Rasselisten zu streichen. Sie haben sich eindeutig nicht bewährt im Rahmen der Gefahrenprävention, vielmehr einer gefährdenden und gefährlichen Hysterie und Hundefeindlichkeit den Weg bereitet. Die Schäden (irrationale Hundeangst, Hundephobie, Hundehass, Bestrafung unliebsamer Nachbarn über “die Schiene Hund” u.a.) müßten schnellstens mit breitangelegten Aufklärungsmethoden aus der Welt geschafft werden, anstatt sie weiter zu pflegen.

Es bleibt festzustellen, daß wiederum beim Hund angesetzt wird (Rasseauswahl nach undurchschaubaren Kriterien; Erkennen von Rassen und ganz sicher von Kreuzungen unmöglich). Probleme des Zusammenlebens mit Hunden heute werden nicht erkannt, ebensowenig wie soziologische Probleme gelöst werden.

Der Einsatz von Wesenstests bei der Zuchtauswahl für alle Hunde wird befürwortet. Es kann nicht sein, daß soziale Verträglichkeit als Kriterium der Zuchtwahl kaum vorkommt, hingegen Schönheitskriterien und Merkmale, die nicht an urbane Verhältnisse angepaßte Hunde erzeugen, dominieren.

Etliche andere Punkte (etwa Tierschutzrelevanz eines generellen Leinen- und Maulkorbzwanges) wurden mehrfach hinreichend dargelegt und bedürfen nicht der ständigen Wiederholung (s. beigelegtes Gutachten vom 12.08.02).

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Dr. Dorit Feddersen-Petersen

Literatur (s. beigefügter Sonderdruck).

 

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