Ächt Englische Bulldogge entlaufen!

 

Wir schreiben das Jahr 1837.

 

Es ist die jetzt noch gemütliche Zeit des Biedermeiers. Samuel F. B. Morse bastelte gerade an seinem Schreib - telegraphen. Und erfand ein neues ABC dazu. Alexander Puschkin fand hingegen seinen Tod.  St. Petersburg erhielt die erste Eisenbahn. Und Albert Lortzing hämmerte in diesem Jahr, wo in England das ‘Viktorianische Zeitalter’ begann, seine Oper vom Zaren und dem Zimmermann zusammen.

 

In diesem Jahr also, es war ein Montag und der 11. Dezember ganz exakt, erschien in der für diese Ära höchst liberalen „Staats und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten“  folgende Suchanzeige, die zunächst sich kaum abhebt von anderen, da die Gattung des ‘Canis’ gelegentlich dazu neigt, das heimische Sofa und die gefüllte Schüssel zu verlassen.

 

Vor einiger Zeit ist einem, im Hannöverschen,

Reisenden in der Nähe von Lüneburg sein Hund ab=

händen gekommen; selbiger ist ächt englischer Race,

von dem Geschlechte der Bulldogs. Er hört auf den

Namen Patent und trägt ein messingenes Hals=

band mit den Buchstaben E A K v H. Wer diesen

Hund in Hamburg, Zuchthausstraße No 47, abliefert,

hat eine Belohnung von 2 Ld’or entgegenzunehmen.

 

So betrachtet, stellt sich die Frage, warum nach so vielen verstrichenen Jahren man sich mit einer achtzeiligen Suche befaßt, worin allenfalls der Rufname ‘Patent’ und die Lieferadresse ungewöhnlich klingen?

Und doch ist diese Anzeige ein Dokument deutscher Landesgeschichte.

In dem in anonym publizierter Weise in ironisierter Fassung auf damalige Tages- und Wochengeschehnisse reflektiert wurde, die damals das ganze Reich deutscher Nationen stark berührten.

 

Was also war geschehen?

 

Es sollte in der Nähe von Hannover ein Hund englischer Rasse entlaufen sein? Wobei dem Finder, der diesen Hund in Hamburg an bestimmter Adresse einliefern würde, ein Abgabelohn von zwei Louisd’or zugesagt wurde (analog dem Wert von 10 Goldthalern  - oder zwei Friedrichsd’or in Preußen - man war sehr eigen damals!).

Ausgangspunkt unserer Nachsuche ist somit die Region von Hannover, wo der Refugie abhanden gekommen. Zielort sollte ein hamburgisches Gefängnis bzw. eine Knastadresse sein. Allerdings ergibt sich hieraus noch kein Sinn.

Des Rätsels Lösung konnte nur im Sigel  ‘E A K v H’ und im Namen ‘Patent’ zu finden sein. Und so war es denn auch!

 

Wozu man sich ein wenig in die zeitgleichen Wirren dieses Jahres begeben muß, um das Vexierbild zu verstehen.

 

So stehen die Anfangsbuchstaben synonym für den englischen Herzog von Cumberland Ernst August, König von Hannover (1771 - 1851), der sich hier inthronisierte.

Dies, nachdem die Krone von England in weiblicher Linie -wegen des Ablebens des Königs Friedrich Wilhelm, der vierte war’s am 20. Juni 1837- die dynastische Erbfolge dem britischen Königshaus sichern sollte.

Ernst August weigerte sich als konsequent konservativer Royalist, der er nun einmal war, die Rechtsverbindlichkeit des für diese Epoche sehr liberal geltenden hannoveranischen Staatsgrundgesetzes aus 1833 anzuerkennen.

Stattdessen vertagte er die Ständeversammlung und hob -mit Wirkung vom 1. November 1837- die Verfassung durch ein ‘Patent’ auf.

Die noch sehr unmündige Bevölkerung fügte sich, zwar gelegentlich murrend, dem restriktiven Dekret.

 

Anders sieben Professoren der Universität Göttingen, so der Germanist und Jurist Wilhelm Eduard Albrecht (1800 - 1876), der Historiker Friedrich Christoph Dahlmann (1785 - 1860), Orientalist Georg Heinrich August Ewald (1803 - 1875), weiter der Literarhistoriker Georg Gottfried Gervinus (1805 - 1871), der Philologe und Historiker Jakob Ludwig Karl Grimm (1785 - 1863), auch sein Bruder und Alterstumforscher Wilhelm Karl Grimm (1786 - 1859), zudem der Physiker Wilhelm Eduard Weber (1804 - 1891) protestierten öffentlich öffentlich hiergegen.

Dieses, nachdem der König einen Huldigungs- und Diensteid (wie ein späterer „Führer“) auf die eigene Person zur Verpflichtung erhoben hatte, und weil das Gelöbnis -so im Verständnis der sieben Revoluzzer- den Inhalten des Staatsgrundgesetzes widersprach.

 

Der „Protest der Göttinger Sieben“ gehört in die Annalen deutscher Geschichtsschreibung. Kann aus verständlichen Gründen hier jedoch nicht weiter verfolgt werden.

Doch warum verfiel unser Anonymus auf die Rasse des ächt Englischen Bulldogs?

 

Wie bereits gesagt, war Ernst August ein Engländer. Zudem blickte er nur durch ein Auge. Das zweite war ihm in einem Feldzug gegen die Franzosen in den Niederlanden abhanden gekommen. Somit könnte sein Aussehen nicht unbedingt als schön zu bezeichnen gewesen sein? Wie es auch Unterschiede im Schönheitsempfinden über das Exterieur geben soll, der Phänotyp des Bulldogs manchen ge- und anderen mißfällt.

 

„Bull“ ist der englische Stier. Jedoch im Umgangssprachlichen der Briten eine Äußerung, deren lächerliche Pointe darin liegt, daß sie gegen den gesunden Menschenverstand verstößt. Das deutsche Pendant ist Hans Ochs, wie John Bull in Karrikaturen eine stämmige, vierschrötige Erscheinung.

 

Es ist dem unbekannten Verfasser der Suchanfrage zuzustehen, daß er es mit Humor verstanden hat, auf die damaligen Mißstände hinzuweisen.

Jedoch in Form eines Feindbildes, wozu eine nicht deutsche Hunderasse herhalten mußte.

 

Soweit bekannt, kam Ernst August nicht nach Hamburg. Er blieb den heimischen Töpfen treu, verstarb zu Hannover am 18. November 1851. Der Bildhauer Albert Wolff (1814 - 1892) setzte ihm zehn Jahre später daselbst ein ehernes Reiterstandbild zum ewigen Gedenkmal.

Gewiß zur Freude zahlreicher Taubengenerationen, die hier ihren Lösungsplatz fanden!

 

werner g. preugschat

spenge, 2001

 

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